dc.description.abstract
Diese Arbeit unternimmt den Versuch, Raum mit Konzepten aus der Erzähltheorie zu untersuchen. Damit fügt sie sich in eine Reihe von interdisziplinären Ansätzen ein, die Erzählstrukturen in unterschiedlichen Medien thematisieren; gemeinsam ist den verschiedenen Ansätzen die Einschätzung, dass durch Erzählungen Bedeutungszusammenhänge, Erklärungen und Werte produziert werden. Damit ist bereits das Potenzial angesprochen, dass die Autoren der vorliegenden Arbeit in einer narratologischen Auseinandersetzung mit Architektur sehen: Raum auf seinen Erzählcharakter hin zu untersuchen ermöglicht es zum einen, die Handlungs- und Bedeutungszusammenhänge zu thematisieren, die dieser Raum anbietet. Zum anderen erweitert sich der Fokus auf den Nutzer des Raumes, der diese Zusammenhänge mitgestaltet und individuell interpretiert. Den Gegenstand der Untersuchung bilden mit dem antiken Rom und dem modernen Las Vegas denn auch zwei Städte, deren Architektur durch narrative Strukturen geprägt ist, die auf die Interaktion zwischen Raum und Nutzer ausgelegt sind. Ausgehend von einem Forschungsüberblick über bestehende interdisziplinäre Ansätze zur Medienunabhängigkeit von Erzählungen diskutiert diese Arbeit sechs Problemfelder anhand von Einzelstudien. Jede bereitet separat theoretische Grundlagen auf und untersucht davon ausgehend Fallbeispiele im antiken Rom und in Las Vegas. Die Einzelstudien betrachten die räumliche Erzählung zunächst in ihrer Eigenschaft als Struktur; anschließend wird ihr Prozesscharakter untersucht. Abschließend werden mit der Einbindung narrativer Räume in das Alltagsleben und der Bedeutung von Zielgruppen zwei Aspekte diskutiert, die den narrativen Raum im sozialen Kontext verankern. Die These, die diese Arbeit anhand von Beispielen aus dem antiken Rom und Las Vegas entwickelt, besagt, dass die räumliche Erzählung nicht allein das Produkt der Planer, d.h.<br />der Bauherren und Architekten, ist, sondern wesentlich von den Nutzern des Raumes mitbestimmt wird. Der Nutzer ist nicht nur der Rezipient der räumlichen Erzählung, sondern auch ihr Co-Autor. Das erste Kapitel der Einzelstudien diskutiert die Möglichkeit, im Raum narrative Handlungsstrukturen festzulegen und dadurch einzelne räumliche Elemente in einen Bedeutungszusammenhang zu stellen. Dabei wird die Auffassung vertreten, dass die Planer mit dem gebauten Raum lediglich Vorgaben schaffen, innerhalb derer sich verschiedene narrative Handlungs- und Bedeutungszusammenhänge entwickeln können. Voraussetzung für das Zustandekommen der Interaktion zwischen narrativem Raum und Betrachter, so die These des zweiten Kapitels, ist das In-Bewegung-Setzen der räumlichen Erzählung. Während die literarische Erzählung durch das Lesen eines Textes, den narrativen Akt, in Bewegung gesetzt wird, wird die räumliche Erzählung durch die Bewegung des Nutzers im Raum erzeugt. Der Nutzer befindet sich sozusagen in der Erzählung und verknüpft aufeinander folgende Ereignisse zu einer motivierten Abfolge. Bedeutung und Wirkung existieren dabei nicht per se, sie sind lediglich im Raum angelegt: der Raum ist ein Wirkungspotential, das erst während des Lesevorganges vom Rezipienten aktualisiert wird. Das dritte Kapitel greift auf die Kognitionswissenschaften zurück, um die Rezeption räumlicher Erzählungen zu untersuchen. Narrative Zusammenhänge zwischen einzelnen räumlichen Ereignissen sind, so die These, eine mentale Konstruktionsleistung des Rezipienten, der auf visuelle Informationen und auf stereotype Erwartungsschemata zurückgreift. Das vierte Kapitel diskutiert anhand des Performativitätsbegriffs, wie Handlungen des Publikums zum wesentlichen Bestandteil räumlicher Erzählungen werden.<br />Dabei zeigt sich ein grundsätzlicher Dualismus: Einerseits ist das performative Publikum als Mitproduzent des narrativen Raumes vom Bauherren erwünscht, andererseits kann kontingentes Verhalten die Entstehung der vom Bauherren inszenierten Erzählung nachhaltig verändern. Das fünfte Kapitel erörtert, ausgehend von soziologischen Konzepten zur Selbstrepräsentation, den narrativen Raum als Teil des täglichen Lebens seiner Nutzer. Einerseits integrieren die Nutzer den narrativen Raum in ihre persönlichen Erzählungen und nutzen ihn für ihre eigene Selbstdarstellung; damit wird er ein Teil von persönlichen Erzählungen, die unabhängig von den Interessen des Bauherrn sind.<br />Andererseits prägen die im narrativen Raum angelegten Handlungsabläufe und Rollenzuschreibungen das Alltagshandeln und das Selbstverständnis der Nutzer. Das sechste Kapitel untersucht, welche Folgen sich aus der Ausrichtung des narrativen Raums an spezifischen Adressaten ergeben. Die Orientierung an Zielgruppen bewirkt eine voneinander abweichende, spezifische Gestaltung der Räume. Dabei zeigt sich, dass die Erwartungen dieser Gruppen auf die Gestalt der Räume im antiken Rom und in Las Vegas mehr Einfluss haben, als die individuellen Präferenzen und Wünsche der Bauherren und Architekten.<br />
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